“Wir wollen Menschen im Unternehmen, die sich mit viel Engagement und all ihren Ideen einbringen. Menschen die Verantwortung übernehmen und Dinge voranbringen. Wir wollen Teams, die selbstständig ihre Arbeit organisieren und fokussiert auf das gemeinsame Ziel hinarbeiten.”

Alle, die in einem Unternehmen eine Führungsrolle inne haben, werden das wohl als erstrebenswerte Wunschvorstellung unterschreiben können. Viele Führungskräfte bemühen sich mit viel Engagement, diesen Zustand im Unternehmen zu erreichen. Wenn es trotz hohem Einsatz nicht gelingt, drängt sich vielen leise aber beständig der Gedanke auf: “haben wir vielleicht doch die falschen Mitarbeitenden eingestellt”?

Aus unserer Erfahrung aus der Arbeit mit Teams und Führungskräften kann man diese Frage getrost mit einem simplen ’nein‘ beantworten.

Was aber ist dann das Problem und der Grund warum wirkliches Selbstmanagement so selten gelingt?

Ein echter Augenöffner ist dabei das Modell ‚Levels of Perspective‘ aus dem ‚Systems Thinking‘, das die verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung eines solchen Problems beleuchtet:

Gut zu sehen: Ereignisse und Muster

Was wir in unserer Umgebung wahrnehmen sind zuallererst einzelne Ereignisse: „Das Team hat bescheidene Qualität geliefert und übernimmt keine Verantwortung.“ Diese Wahrnehmung erlaubt es uns lediglich auf die unmittelbaren Ereignisse um uns herum zu reagieren.

Erweitern wir den Blickwinkel, so erkennen wir hinter den Ereignissen häufig aber wiederkehrende Muster: „Projekte die das Team zum Ende des Jahres abschliesst, gehen regelmäßig in miserabler Qualität live“. Wenn wir solche Muster erkennen, blicken wir von der nächsten Stufe der Wahrnehmung auf das System in dem wir uns bewegen. Wir können wiederkehrende Muster erkennen, uns diesen anpassen und manches Mal sogar vorausahnen, was passieren wird.

Unter der Oberfläche: Strukturen und Mentale Modelle

Ereignisse und Muster können wir gut direkt beobachten. Sie sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs, die sich über der Wasseroberfläche befindet. Blickt man ein Stück unter die Oberfläche, so ist die Beobachtung deutlich schwieriger. Im ‘Levels of Perspective’ Modell wendet man hier den Blick auf die systemischen Strukturen, die die Muster von wiederkehrenden Ereignissen erzeugen oder zumindest begünstigen: „Der Manager des Team bekommt einen jährlichen Bonus je nach Anzahl der abgeschlossenen Projekte“.

Das könnte die systemische Struktur sein, die ihn dazu bringt, das Team unter Zeitdruck zu setzen, um Projekte vor Jahresabschluss fertig zu stellen, so dass am Ende die Qualität leidet. Erst wenn man solche Strukturen als Ursache der Muster erkennt, kann man auf der kreativen Ebene agieren: Strukturen in Frage stellen und durch bessere ersetzen.

Noch spannender ist es allerdings zu fragen, mit welchen mentalen Modellen die entdeckten Strukturen denn eigentlich entstanden sind. Ist das bestimmenden mentale Modell des CEO geprägt von der Idee: „Nur für Geld sind die Menschen bereit wirklich besonderes zu leisten“ könnte das der Grund sein, warum das Bonussystem (Struktur) entstanden ist. Betrachtet man (für sich) welche mentalen Modelle das eigene Handeln bestimmen, gelingt dies nur mit einem hohen Maß an Selbstreflexion.

Welche Vision treibt uns an?

Bei der letzten Stufe des Modells geht es um die Vision, die uns treibt unser Leben zu gestalten. Zu dem oben beschriebenen mentalen Modell würde eine Vision von “Wir wollen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld verdienen” eine passende Erklärung liefern.

Mit weiterem Blickwinkel kommt grössere Handlungsmöglichkeit

Was mit diesem Modell unmittelbar klar wird, ist, dass mit einer höheren Betrachtungsebene die Handlungsmöglichkeiten zunehmen und die Hebelwirkung für Veränderungen drastisch steigt: Auf der Ebene der Handlungsmuster, kann ich mich an die regelmäßig zum Jahresende in schlechter Qualität abgelieferten Projekte vorbereiten und mehr Supportkapazitäten einplanen (adaptiv).

Stelle ich jedoch auf Ebene der systemischen Strukturen das Bonussystem in Frage werde ich dieses Problem vielleicht schon grundsätzlich los. Stellt der CEO sein mentales Modell von “Menschen bringen Leistungen nur für Geld” in Frage, kann eine Organisation sogar verhindern, dass in Zukunft neue, ähnlich geartete Strukturen entstehen. Und tauscht man den CEO gegen einen solchen mit einer Vision von “Arbeitszeit ist Lebenszeit, lasst uns zusammen coole Dinge machen” aus, so ändert dies mittelfristig die Gesamtausrichtung des Unternehmens.

Die besonders wirksamen drei oberen Stufen der Wahrnehmung sind dabei allerdings oft sehr eng gekoppelt, nur schwer beobachtbar und in den seltensten Fällen offen besprechbar.

Warum sind diese Zusammenhänge für agile Führung so relevant?

Führung im agilen Kontext und Selbstmanagement in Teams gelingt nur dann, wenn dazu die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diese Rahmenbedingungen werden maßgeblich bestimmt von den systemischen Strukturen im Unternehmen und den mentalen Modellen der Führungskräfte.

Mit dem mentalen Modell “Entwickler wollen und können keine unternehmerische Verantwortung übernehmen” wird die Übergabe von Verantwortung aus der Führungsrolle ans Team nicht gelingen, weil die Führungskraft systemische Strukturen erschafft, um das Team zu kontrollieren. Mit dem mentalen Modell “Nur unter Druck sind Menschen bereit Besonderes zu leisten” wird eine Führungskraft Teams weniger über Ziele und Unterstützung als viel mehr über Druck führen.
Führungskräfte als Teil des Systems

Aber die Führungskräfte sind auch selbst Teil des Systems dessen Strukturen grosse Herausforderungen bergen können: Erfahren Führungskräfte im Unternehmen Wertschätzung vor allem für den Erfolg ihrer Projekte nicht jedoch für die eigene Weiterentwicklung oder die Unterstützung ihrer Teams, fördert diese systemische Struktur nicht das erwünschte Verhalten.

Wie geht man jetzt damit um? Klingt doch erst einmal einfach: die Führungskräfte ändern ihre mentalen Modelle, schaffen förderliche Strukturen und schon klappt es mit dem Selbstmanagement.

Was so einfach klingt ist in Wirklichkeit eine Herkulesaufgabe. Niemand ändert durch Anordnung oder einfaches Verstehen mal eben seine mentalen Modelle. Hierfür ist ein echter persönlicher Reflexionsprozess bei jedem einzelnen Mitarbeitenden notwendig. Mindestens genauso wichtig ist jedoch eine gemeinschaftliche Reflexion im Unternehmen über Strukturen und mentale Modelle.

Die Aufgabe gelingt nur dann, wenn man im Unternehmen bereit ist, den Blick auch auf die Teile des Eisbergs zu lenken die unter der Oberfläche liegen. Es braucht die Hinwendung des Blicks auf die schwer erkennbaren systemischen Strukturen und die dahinterliegenden mentalen Modelle, die die unerwünschten (Verhaltens-)Muster erzeugen. Nur mit dieser Erweiterung des Blickwinkels können im Unternehmen Veränderungen nachhaltig und mit hoher Hebelwirkung erreicht werden.

Damit das möglich ist, braucht es Raum und Gelegenheit zur Reflexion und anschliessend Wissen über alternative Modelle und Methoden von Führung. Um die eigene Führungs- und Arbeitskultur dauerhaft zum Positiven zu verändern und Agilität wirklich lebbar zu machen, müssen Unternehmen diesen Themen Raum und Aufmerksamkeit widmen. Sonst verkommt Agilität schnell zu einer weiteren ‚Sau, die durchs Dorf getrieben wird‘. Auf Kosten der Mitarbeitenden und der Glaubwürdigkeit.

Zuerst veröffentlich auf flowdays.net am 25.2.2019

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